Unsere Jüdische Kultusgemeinde im Landkreis Hameln Pyrmont e. V. wurde 1998 von den jüdischen Einwanderen aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion gegründet.
Einwanderung von Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion
Zwischen den Jahren 1989 und 2009 sind ca. 219.000 Personen jüdischer Herkunft aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen. Damit hat sich die Anzahl der Mitglieder von jüdischen Gemeinden in Deutschland beinahe vervierfacht: Ende 1989 gab es 28.000 Gemeindemitglieder und Ende 2006 waren es fast 108.000 Mitglieder. Doch wie und warum sind Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland eingewandert?
Welche Gründe hat diese Einwanderung?
Die Gründe liegen in der historischen Situation: Mit dem politischen Ende der sozialistischen Staaten in Osteuropa und dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre wurde ausreisewilligen Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion ermöglicht, nach Deutschland einzureisen und hier ihren Lebensmittelpunkt zu finden. Ziel war es, Menschen jüdischen Glaubens durch die Ausreise vor der zunehmenden Diskriminierung, Willkür und Verfolgung in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion zu schützen. Damit verbunden war freilich die Hoffnung, die jüdischen Gemeinden in Deutschland wieder aufzubauen und ihre kulturellen und religiösen Traditionen wiederzubeleben.
Ihre Abwanderung beginnt zu einer Zeit, als die Sowjetunion noch existierte. Das war im Jahr 1989. Bis zur Mitte dieses Jahres hatten schon rund 50.000 Juden die Sowjetunion verlassen. Viele von ihnen gingen in die USA oder wanderten nach Israel aus, aber immer mehr jüdische Auswanderer zog es auch nach West-Berlin. Als der Auflösungsprozess der Sowjetunion begann, bahnte sich auch der Anstieg des Antisemitismus an. Diese antisemitische Welle ist unmittelbar mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen und der sozialen Situation in der ehemaligen Sowjetunion verbunden.
Die erste frei gewählte Regierung der DDR versprach „verfolgten Juden“ in der DDR Asyl zu gewähren. Das war im April 1990. Zu diesem Zeitpunkt gab es in der DDR aber eigentlich noch kein Asylrecht. Erst im September desselben Jahres beschloss der DDR-Ministerrat, Jüdinnen und Juden unbürokratisch aufzunehmen. Zur gleichen Zeit erließ die westdeutsche Regierung einen kurzfristigen Einreisestopp für jüdische Flüchtlinge. Trotzdem wanderten viele Menschen auch ohne rechtliche Regelung ein und nutzten dafür ein Touristenvisum. Ende 1990 lebten etwas mehr als 3.000 jüdische Personen in so genannten Aussiedler-Heimen in Berlin und Ostdeutschland.
Erst nach der deutschen Vereinigung wurde im Januar 1991 der Aufenthalt der zugewanderten Jüdinnen und Juden in Deutschland mit einem Gesetz geregelt. Dieses Gesetz bekam den Namen „Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge“, oder kurz: „Kontingentflüchtlingsgesetz“ (Kontingent im Sinne einer bestimmten Quote). Auf der Grundlage dieses Gesetzes dürfen Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion einwandern und werden nach einem bestimmten Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. Aufgenommen werden Menschen, die mindestens einen jüdischen Elternteil haben; außerdem ihre Ehepartner/innen und Kinder unter 18 Jahren.
Aus welchen geographischen, sozialen und religiösen Kontexten stammen die jüdischen Kontingentflüchtlinge?
Mitglieder der Gemeinde stammen aus den unterschiedlichsten Kontexten. Die meisten MigrantInnen kommen aus Russland und der Ukraine. Aber die meisten Menschen kommen aus den großen Städten. Viele unsere Gemeindemitglieder kommen aus Moskau und St. Petersburg, also aus einem urbanen Kontext. Sie sind oft sehr qualifiziert. Rund 80% von ihnen haben eine akademische Laufbahn; sie sind IngenieurInnen, ÄrztInnen, JuristInnen oder aber KünstlerInnen und MusikerInnen. Wegen der sowjetischen Ideologie bezeichnen sich viele Menschen als AtheistInnen – auch weil es verboten war, die eigene Religion auszuüben und zu praktizieren. Somit befanden sie sich in einer äußerst widersprüchlichen Situation: Als Jüdinnen und Juden waren sie diskriminiert und hatten einen erschwerten Zugang zu bestimmten Universitäten oder Berufspositionen, gleichzeitig durften sie aber auch kein jüdisches Leben führen. Da war wenig Platz für das jüdisch-sein. Laut einer Studie haben sie zu Zeiten des Kalten Krieges die Werte und Normen der sowjetischen Gesellschaft übernommen, waren aber dennoch nicht akzeptiert.
Was war wichtig für die Anerkennung als jüdischer Kontingentflüchtling in Deutschland?
Für die Anerkennung als jüdischer Kontingentflüchtling in Deutschland war es für die deutschen Behörden ausreichend, die Eintragung der jüdischen Nationalität in den russischen Personendokumenten zu haben. Die wenigsten gelangten demnach aus rein religiösen Gründen nach Deutschland, sondern vielmehr aus Angst vor dem wachsenden Antisemitismus, wegen bürgerkriegsähnlicher Verhältnisse, wegen Pogromen, wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation sowie aus Sorge um die Sicherheit der Familie und vor allem aus der Hoffnung heraus, ihren Kindern eine bessere und sicherere Zukunft zu ermöglichen.
Wie positionieren sich die Zugewanderten innerhalb des Judentums? In welcher Tradition stehen sie?
Es war schwierig, die eigene Tradition in der UdSSR zu praktizieren, weil es vom Staat fast verboten wurde. Aber die gefühlte Zugehörigkeit zur Volksgruppe war immer recht stark.
Die Kontingentflüchtlinge kommen aus ganz unterschiedlichen jüdischen Traditionslinien: In Russland, Weißrussland, in der Ukraine und den baltischen Staaten war überwiegend das aschkenasische Judentum vertreten, das zur chassidisch-orthodoxen Tradition gehört. In Georgien haben georgische Juden gelebt, die das sogenannte Judengeorgisch sprechen. Im Nordkaukasus, haben so genannte Bergjuden (Taten) gelebt. Als Bergjuden bezeichnet man die einheimische jüdische Bevölkerung in Dagestan und Aserbaidschan, deren Vorfahren aus dem alten Persien stammen.
Um den Menschen die Möglichkeit zu geben, eigene Traditionen in der neuen Gemeinde zu pflegen, wurde unsere Gemeinde als Einheitsgemeinde gegründet.
Wie und wann wurde die Jüdische Kultusgemeinde im Landkreis Hameln Pyrmont gegründet?
Wie auch viele andere jüdische Zuwanderer sind künftige Mitglieder der Jüdischen Kultusgemeinde im Landkreis Hameln Pyrmont Mitte der 1990er Jahre nach Deutschland gekommen. Viele von uns wurden im Lager für Zuwanderer in der Stadt Bad Pyrmont empfangen. Dieser Aufenthalt hat erste Erfahrungen mit dem neuen Land, Sprache und Kultur geliefert. Viele Migranten sind in der Stadt Bad Pyrmont geblieben, viele aber haben eine neue Heimat in der Stadt Hameln gefunden.
Zur Zeit der intensiven Zuwanderung gab es in der Stadt Hameln wie auch in der Stadt Bad Pyrmont keine jüdische Gemeinde mehr. Aus diesem Grund war die Gründung einer jüdischen Gemeinde logisch und voraussehbar.
Die Gemeinde wurde in 1998 als eingetragener Verein gegründet. Die Idee der Gründung von der jüdischen Gemeinde gehört den zwei Gründervätern: Hr. P. Rafelson und J. Bondar.
Beide haben sehr viel getan, um die Unterstützung des Landesverbands der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen zu bekommen. Nur durch diese starke Unterstützung und Anleitung war die Gemeindegründung erfolgreich. Diese Unterstützung wurde nicht nur durch die finanzielle Hilfe für das Leben der Gemeinde gewährt, sondern durch Religionsunterricht von Religionslehrern. An dieser Stelle wollen wir uns bei dem 1. Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, Michael Fürst, bedanken, wie auch bei dem Hr. Litwan, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hannover K.d.ö.R. Haeckelstr. , sowie Hr. Sitnov, Kantor der Jüdischen Gemeinde Hannover K.d.ö.R. Haeckelstr.
Die erste Gemeinderäumlichkeit wurde in der Lohstr. 2, in Hameln gemietet. Dort ist die Gemeinde bis zum Anfang 2011geblieben. Leider waren die Mietverhältnisse nicht immer günstig für die Gemeinde, deswegen ist die Suche nach einen neuen Räumlichkeit Ende 2010 zur bitteren Realität geworden.
Seit Anfang 2011 hat die Gemeinde eine neue Adresse: Deisterstraße 59-61, 31785 Hameln.
Diese neue Räumlichkeit hat der Gemeinde ermöglicht, den Gebetsraum, Gemeinschaftraum, Unterrichtsraum, Bibliothek und Gemeindeküche unterzubringen, damit das Gemeindeleben weiter erfolgreich funktionieren kann.